Als Psychotherapeutin und als selbst Betroffene möchte ich
zunächst feststellen: ME/CFS ist eine körperliche Erkrankung,
die - wie wohl die meisten Erkrankungen auch - psychosomatische
Anteile hat und/oder psychische Folgeerscheinungen bis hin zu
Angststörungen oder Depressionen.
Und: Ob physische oder psychische Erkrankung: Beide
verursachen Leid, sowohl bei den Betroffenen als auch bei
den Angehörigen. Wird nicht genau hingeguckt, kann der
Zustand nicht verstanden und in der Folge keine angemessene
Unterstützung gefunden und angeboten werden.
Im D-A-CH-Raum vergehen 5 bis 8 Jahre bis zur Diagnose
ME/CFS
(>>Konsensus-Statement). "Gängigste"
Fehldiagnosen auf dem Weg dorthin sind Somatoforme
Störungen und Depressionen (inkl. Burnout) - verbunden mit
einem zentralen Behandlungziel, das dem heilvollem Umgang
mit ME/CFS diametral entgegensteht:
Aktivierung.
ME/CFS-Erkrankten mangelt es nicht an Antrieb und
Motivation (wie z.B. bei Depressionen)! Ihr Körper ist
schlichtweg nicht mehr in der Lage, ausreichend Energie
bereitzustellen, für welche Aktivität auch immer.
Mit ME/CFS über die eigenen Grenzen zu gehen, verschiebt
diese nicht nach hinten, sondern provoziert eine
Verschlechterung - PENE/PESE/PEM/Crash - mit deutlich
verlängerter, ggf. ausbleibender Besserung bis hin zur Erhöhung
des Schweregrades.
Zu meinen persönlichen Bedürfnissen passt Maß
halten/Energiemanagement/Pacing so gar nicht... Es ist eine
Notwendigkeit, die neben den Symptomen deutlich und umfassend
Einfluss auf mein Leben nimmt - äußerlich und innerlich...
Es kratzt an meiner Lebensfreude und immer wieder auch an
meinem Selbstbewusstsein, dass ich so wenig von meinen Ideen
und meinem Wollen umsetzen kann.
Und nicht selten schäme ich mich vor anderen dafür. Immer
noch...
Was mir hilft, wenn ich mich schäme oder von anderen
beschämt fühle, ist der Zucker-Vergleich:
Zu einer Diabetikerin würde niemand sagen: Du musst einfach
nur üben, mehr Zucker zu essen!" Oder?
Mein "Zucker" ist mentales, soziales, körperliches
und emotionales Aktivsein. So lecker ich es finde: Ich
vertrage nicht viel. Muss Maß halten, wenn ich meinen
Zustand nicht verschlechtern will. Punkt.