Heilvoll mit ME/CFS umzugehen, bedeutet im Schongang zu
leben und
gleichzeitig nicht aus der Übung zu kommen, was B
e w e g u n g anbelangt - im körperlichen, sozialen,
mentalen und psychischen Bereich.
Ein fortwährender Seiltanz...
Mit Blick auf meine Kraft nicht immer wieder deutlich über
meine Grenzen zu gehen, war noch nie leicht für mich (es gibt
einfach so viel Spannendes auf der Welt und so viel, was ich
gerne tun möchte :)). Mit ME/CFS sind die Grenzen so viel näher
gekommen und gleichzeitig das, worauf ich Lust habe, in die
Ferne gerückt. Manches ist unerreichbar geworden.
Beständig im Raum steht das "Was geht?". Ich lasse es da
nicht selten stehen, tanze dran vorbei und drumherum, habe
Freude beim "unvernünftigen" Tun - im Garten, am Rechner, im
Gespräch, mit einem Buch, beim Werkeln...
Und wenn dann tagelang so gut wie nichts mehr geht, bereue
ich mein Tun nicht. Bin ich Wochen außer Gefecht gesetzt,
sieht das schon anders aus...
Der "kaputte Akku" macht es schwierig, Symptomen
psychischer Folgeerscheinungen vorzubeugen oder ihnen zu
begegnen. Während das Zauberwort bei Depressionen, Angst- oder
Somatisierungsstörungen Aktivierung ist, heißt
es bei ME/CFS Schonung. Darum ist es enorm wichtig,
für sich selber gewichten zu lernen, wer gerade mehr Hilfe
benötigt: Körper oder Seele (wobei es natürlich grundsätzlich
ein Zusammenspiel beider bleibt):
So kann auch bei leerem Akku ein kurzer Spaziergang oder
ein kurzes Telefonat wichtig sein, um die Grübelspirale
oder Suizidgedanken zu unterbrechen. Und es kann nötig
sein, etwas nicht zu tun, was Freude schenkt, weil der Akku
sonst noch leerer wird und die Konsequenz daraus neben
einer weiteren/stärkeren Überlastungsreaktion nicht selten
auch eine psychische Destabilisierung ist.
Die eigenen Symptome und Impulse einordnen zu lernen, um
angemessen und heilvoll reagieren zu können, ist bei ME/CFS
notwendig und äußerst herausfordernd.
Für mich war und ist "mein Strebergarten" ein perfektes
Übungsfeld mich in meiner Erkrankung besser kennen und mit
ME/CFS leben zu lernen: Vermeidung zu vermeiden, mich in
Selbstfürsorge zu üben, Licht und Schatten gleichmütig
anzunehmen... Wie gesagt: Ein Übungsfeld... (Das ich nutzen
kann, weil ich nicht zu den schwer Erkrankten gehöre!)
Wenn ich z.B. nicht in den Garten möchte: Warum
nicht?
Steht Vermeidung im Mittelpunkt, weil ich
niemanden sehen will oder weil ich Angst habe vor
Überlastung?
Steht Selbstfürsorge im Mittelpunkt, weil
der Akku bereits leer ist oder andere ME/CFS-Symptome stark
sind?
Aus meiner Sicht hilft nur: Hingucken, Ausprobieren, aus
Erfahrungen lernen und Anpassung. Ja, der Körper setzt Grenzen
(wie auch bei jeder anderen Erkrankung oder im Alter). Und
"ME/CFS-Grenzen" müssen eingehalten werden, um
Überlastungsreaktionen so gut wie möglich vorzubeugen.
Manche Grenzen jedoch sind "zum Glück nur" in meinem
eigenen Kopf. Und es ist so schwer und so wichtig, sie zu
erkennen: "Kopf-Grenzen" dürfen und können im eigenen Tempo
und den eigenen Möglichkeiten entsprechend versetzt werden.
Das schenkt Erfahrungen von Selbstwirksamkeit und macht die
Welt wieder heller und weiter.
Bei mir geht es immer noch und immer wieder darum,
rechtzeitig aufzuhören anstatt zu vermeiden. Zum Beispiel
kann ich telefonieren UND das Gespräch nach 10 Minuten
beenden (oder ein paar Minuten eher oder später, je nach
Tagesform).