gleichmütig garteln und leben

Winter - Frühling - Nasenkuss

Winter

Wenn nach langen Wintertagen
die ersten Sonnenstrahlen
meine Wangen streicheln
krieche ich tief in mich hinein
und nehme das Licht und die Wärme mit

Dann erst merke ich
wie dunkel und kalt es zuvor war
und ich spüre einen tiefen Schmerz in mir
der mit der eingefangenen Sonne
in Wettstreit tritt

Ich wünschte
sie würden einander die Hände reichen
das Kalte-Dunkle und das Helle-Warme
In mir ist Platz für beide

Frühling

Sanft und klar
berühren Worte, Blicke und Hände
meinen Körper und meine Seele
laden mich ein
Bewegung wieder
Ausdruck meines Lebens
sein zu lassen

Wie durch Zauberhand
füllt sich mein Sein
mit Freude, Kraft und Lebenslust
wird es in mir
wieder warm und weit und weich und
vielversprechend

Ich schaue aus dem Fenster
und sehe:
Es ist Frühling

Nasenkuss

Plötzlich und unerwartet
steht das Leben
lachend vor meiner Nase
in einem neuen, unbekannten Gewand
verlockend und ängstigend zugleich

Es wäre ein Leichtes
den Kopf ein wenig zur Seite zu drehen
und den Blick auf Bekanntes zu richten
Aber das will ich nicht
dieses Mal

Ich will wissen
warum es so lacht
das Leben
warum es sich mir
vor die Nase stellt

Ich will kosten
von diesem Lachen
will kosten
von diesem Leben
bis es mir
in Fleisch und Blut übergeht

(c) Gabriele Helmert (2003)
Geschrieben habe ich die Gedichte in meiner fünften oder sechsten Woche in der Klinik am Steigerwald. Anlass für den Klinikaufenthalt war eine massive Erschöpfung mit reaktiver Depression, ausgelöst von anhaltender Überforderung durch die ME.CFS und das Leben in einer Patchworkfamilie. 
Ohne das damalige Klinikteam und meine einweisende Ärztin hätte ich vielleicht aufgegeben. Mein Denken ging in diese Richtung...  trotz Kind und Rückhalt wichtiger Familienmitglieder. Heute bin ich einfach nur zutiefst dankbar für alle professionelle und private Hilfe, so dankbar, die vergangenen gut zwei Jahrzehnte erlebt zu haben und noch immer hier und meistens froh zu sein.