Die
20-Jährige Kämpferin
Wenn ich in Gärten z.B. leergekratzte Beete sehe und in Reih und Glied Hineingepflanztes, wird die 20-Jährige in mir sehr oft sehr laut. Ich bitte sie dann mit Gummibärchen vor den Teich und höre, was mir über die Zäune hinweg erzählt wird - von Urlauben, Krankheiten, Enkelkindern, was gepflanzt oder geerntet wurde… Dabei verwandeln sich „Umweltzerstörer“ in Menschen, ich erlebe, dass auch sie nichts anderes wollen als: glücklich sein.
Über den Zaun und innere Mauern hinweg bin ich in Kontakt. Das macht die aufgekratzten Böden ökologisch gesehen nicht weniger tragisch, ich empfinde sie aber nicht mehr als persönlichen Angriff, der mich zum Verteidigen und Aufrüsten zwingt.
Manchmal jedoch, "übernimmt" die 20-Jährige Kämpferin in mir, die um sich schlagen möchte, weil es so weh tut auszuhalten, was alles auf der Welt geschieht und nicht geschieht. Mit dieser schmerzhaften Erfahrung wurde sie Teil meines Inneren Gartens:
Wenn ich mir das Foto aus dem Stern-Artikel anschaue, erinnere ich mich wieder gut an diesen Moment, diese seltsame Ruhe vor dem ohrenbetäubender Lärm zu Beginn der Räumung. Und ich erinnere mich an das danach, an all das, was zerschlagen wurde, draußen im Haus und drinnen in uns.
Nach der Heidehofräumung gab es Gedanken, Kontakt zu den Revolutionären Zellen aufzunehmen, Gewalt mit Gewalt zu vergelten. Vergessen war, dass ich ein paar Wochen zuvor auf der großen >>Friedensdemo im Bonner Hofgarten vom Gefühl getragen war, nicht allein zu sein mit meinen Lebensträumen.
Das Bild ist kurz nach der Räumung des besetzten Heidehofs im Herbst 1982 entstanden. Wenn ich es anschaue, spüre ich auch noch nach mehr als vier Jahrzehnten das Echo der Ohnmacht, des Entsetzens, des Schmerzes, der Untröstlichkeit in mir. Und ebenso geht es mir, wenn ich den Tagebucheintrag lese:
Ein fast vergessenes
Detail
40 Jahre später haben die Anklebe-Aktionen und die drohende Räumung in Lützerath meine Erinnerungen an die Heidehof-Räumung wieder sehr lebendig werden lassen. "Zu lebendig" für meine Verfasstheit in 2022.
Im Verlauf eines EMDR (Therapieverfahren bei traumatischen Erfahrungen) ist für mich ein Polizist in den Mittelpunkt gerückt, den die 20-Jährige im Tagebuch erwähnt hat, obwohl er im Verlauf der Räumung sicherlich nur ein „blöder Bulle“ für sie war, der auf der Seite der "Feinde" stand…
Dieser Polizist hat – als ich von zwei anderen Polizisten aus dem Heidehof geschleift wurde – meine Füße hochgenommen. Wie wichtig dieses Getragen-Werden für mich war, wie wichtig, dass es in diesem Moment grenzenloser Ohnmacht und Verzweiflung auch Gesehen-Werden und Mitgefühl gab, hat nun auch tiefe Wurzeln in mir. Darüber bin ich sehr froh und Ihnen sehr dankbar, unbekannter Polizist!
Grabenkriege
Im Stern-Artikel zur Heidehofräumung ging es in einigen Passagen um den IG-Metaller Fischer. Er gehörte zu den Wortführern und Entscheidern. Ich hatte ihn völlig vergessen. Im Artikel wird unter anderem beschrieben, wie er nach der Räumung mit den Worten „Mit unserem Eigentum können wir noch immer machen, was wir wollen“ einen Stapel Teller auf die Erde fallen lässt. Machtgehabe, Aggression, Ignoranz, Dummheit… Waren wir „auf der anderen Seite“ frei davon? Manche ja, manche nicht.
Für die 20-Jährige war die Drohung an der Wand absolut angemessen und passend zu „macht kaputt, was euch kaputt macht“ (Ton Steine Scherben). Die 62-Jährige findet Drohung und Liedtext nachvollziehbar, brutal und menschenverachtend, fragt sich, wie Fischer wohl heute auf die Heidehofzeit schaut. Im Netz lese ich, dass er nicht mehr lebt. Er hat sich 1987, mit 60 Jahren, vor einen Güterzug geworfen. Ich finde das traurig. Für ihn, für seine Familie und Freund:innen. Und traurig, weil es mich darauf stößt, wie schnell ich vergessen kann, dass da immer auch ein Mensch ist „auf der anderen Seite“.
Es ist traurig und es ist tragisch, wie schnell wir
unterschiedliche Standpunkte als feindliche Lager
manifestieren, uns als Gegner:innen begreifen und uns nicht
mehr als fühlende Wesen begegnen.
Ich möchte raus aus der Kriegstreiberei. Möchte Grenzen
aufzeigen, die mir wichtig erscheinen UND dabei offen für
Begegnung und Bewegung bleiben.
(Auch in dieser Hinsicht ist die Kleingartenanlage ein gutes
Übungsfeld für mich ;))
Brücken
Wann immer Ignoranz und/oder Gier zu Leid und Zerstörung führt (Raubbau, aggressive Reaktionen auf Umweltaktivist:innen, Unterdrückung, Krieg, Tierunwohl, Verschwörungsideen, Dogmatismus… die Liste ist lang) taucht die 20-Jährige auf in mir. Mit ihr drängen sich Trauer, Wut, Verzweiflung und Ohnmacht auf die innere Bühne. Betreten dürfen sie sie, aber nicht Mitgefühl und Weiterblick überrennen und die Reaktionen bestimmen. In solchen Momenten geht es erst einmal um Hingucken und Gesehen werden, um Aushalten und Ausatmen, um Einatmen und Orientieren. Was die 20-Jährige mit der gut 40 Jahre älteren Frau konstruktiv verbindet, ist die Vision vom >>Traumgarten. Das tut beiden gut.